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Hoheitliche Pflichtaufgabe Abwasser – “Drum prüfe, wer sich ewig bindet…”

Drum prüfe, wer sich ewig bindet… Was passiert mit städtischen Mitarbeitern in einem ÖPP, wie steht es um das Vermögen und die Gebühren? Erfahren Sie, wie man ein zukünftiges Leistungsniveau eines Abwasserentsorgers definiert.

HR. Hallo und herzlich willkommen zu unserem Podcast mit dem Titel „Hoheitliche Pflichtaufgabe Abwasser – Eine Medaille mit zwei Seiten“ mit Dr. Agnes da von Gelsenwasser. Liebe Agnes, schön, dass du wieder da bist und noch Puste hast, mit uns das Thema jetzt zu Ende zu denken. Wir haben diverse Schleifen gedreht, von Herausforderungen über Lösungsansätze, haben Probleme diskutiert und sind schlussendlich mit Best Practice Beispielen im vorherigen Teil geendet.

Wir stellen jetzt die Fragen: Was bedeutet eigentlich das für meine Stadt? Binde ich mich ewig? Was passiert mit meinen städtischen Mitarbeitern? Wie steht es um das Vermögen? Immerhin gehört die Abwasserinfrastruktur zu den größten Vermögensgegenständen einer Kommune. Also reden wir vielleicht noch von Tafelsilber?

AJ: Wir reden auf jeden Fall über Tafelsilber und wie wir das erhalten. So würde ich es interpretieren. Binde ich mich ewig? Das ist wie in einer guten Ehe nur wäre das wie eine Ehe mit Ablaufdatum an dieser Stelle. Ich kann im Abwasser gar keine Verträge machen, die nicht ein festes Ende hätten. Sie müssen ein festes Ende haben, sodass ich als Kommune – und ich habe ja vorhin von diesem letzten Stückchen Klopapier gesprochen, was als Pflicht immer an mir hängen bleibt – immer der Abwasserpflichtige bleibe. Ich kann mir immer nur entweder öfter oder in gewissen Intervallen überlegen, ob ich das hier alles noch selbst kann oder ob ich Hilfe brauche. Und wie stehle ich diese Hilfe ein? Dann mache ich eben auch so eine Ausschreibung für einen gewissen Zeitraum. Jetzt muss man sich überlegen, was schreibe ich denn da aus?

Schreibe ich eine Einzeldienstleistung oder einen Rahmenvertrag aus? Dann ist das in der Regel schon ein sehr überschaubarer Zeitraum, über den ich spreche. Bei einer Partnerschaft ist es insofern ein bisschen was anderes, als dass wir hier von langlebiger Infrastruktur sprechen. Also das, was wir da verbuddeln, liegt da die nächsten 80 bis 100 Jahre? Oder wenn ich auf die Anlagen gucke oder auf die Elektrotechnik, sind es natürlich keine 80 bis 100 Jahre. Da spreche ich eher von 15 bis 25 Jahren. Aber auch das ist ein langer Zeitraum. Das heißt, ich bin gedanklich in langen Investitionszyklen unterwegs.

Wir haben vorhin auch gehört, dass ich jetzt auch oftmals den Punkt habe, dass ich überhaupt erst mal aufräumen muss. Wir sind jetzt seit dem 01.01.2025 am Niederrhein in einer neuen Kooperation, worüber wir uns total freuen. Da ist klar, im ersten Jahr werden wir die x Millionen Euro an Investitionen wahrscheinlich auch noch nicht umsetzen. Wir müssen erst mal aufräumen. Wir müssen gucken, welche Daten haben wir, wo liegen die, sie aufarbeiten usw. Das heißt, das Ganze hat auch ein bisschen Anlaufphase. Ich möchte ja auch, dass mein Partner langfristig und nachhaltig zu meinem Wohle handelt und deswegen sind das einfach lange ja durchaus auch Fristen, die ich da vergebe. Aber sie sind endlich.

HR: Kurze Zwischenfrage am Rande. Ich weiß jetzt nicht, wie wir uns da rechtlich bewegen. Muss das denn nach fünf Jahren theoretisch praktisch enden, um das Stichwort „Korruption, Vetternwirtschaft“ – diese ganze Liste von Vorbehalten – von vornherein zu vermeiden? Dürfen wir überhaupt eine längerfristige, erfolgreiche Partnerschaft umsetzen?

AJ: Ja, das dürfen wir. Man kann vielleicht als Parallele so ein bisschen auf die Wasserkonzessionen im Wassermarkt gucken. Wenn ich mich in Nordrhein-Westfalen bewege, haben wir ja schon eine maximale Laufzeit von 40 Jahren. 40 Jahre sind jetzt im Vergaberecht eher untypisch auf der Ebene Abwasser. Aber da reden wir von 20 bis 25 Jahren maximal. Vielleicht noch fünf Jahre Verlängerungsrecht. Da bin ich bei 30 Jahren. Aber spätestens dann sollte ich mir überlegen, ob das noch der richtige Partner ist. Im Übrigen heißt das ja auch, dass in diesen 20 bis 25 Jahren nicht „friss oder stirb“ gilt, sondern mein Partner muss gewisse Ziele erfüllen und Pflichten erbringen. Und wenn er das nicht macht – zu meiner kommunalen Zufriedenheit oder unter den Regeln, die wir uns gegenseitig auferlegt haben – dann kann ich diesen Vertrag auch wieder kündigen. Also ich bin dem nicht zwangsläufig ausgeliefert. Ich muss natürlich schon schauen – ich habe ja vorhin so ein bisschen von Beratern auf kommunaler Seite gesprochen – dass ich mich gut beraten lasse, dass sich meine Rechte in den Verträgen dann auch wiederfinden. Meine Rechte sind das eine und dann muss ich mir als der Ausschreibende vielleicht auch mal überlegen, wie mein Gegenüber agiert. Wenn mein Gegenüber, also der potenzielle Partner, der Auftragnehmer, mir für einen längeren Zeitraum zur Seite steht, dann bin ich wieder bei der Ehe. In guten und in schlechten Zeiten wird ja alles mal vorkommen. Ich kann eben ein bisschen Schlechtes auch mal ausgleichen über einen langen Zeitraum. Ich kann Risiken auf mich nehmen, weil ich die wieder ausgleichen kann. Wenn immer nur alles auf drei oder fünf Jahre geknüpft ist, dann habe ich eben auch kürzere Zeiträume, um solche Risiken auszugleichen. Insofern spricht das dann durchaus auch für diese Laufzeiten, die länger sind, die aber auf jeden Fall endlich sind.

Dann hast du gefragt: Was heißt das? Binde ich mich ewig? Wie sieht es mit meinen Mitarbeitern aus? Wie sieht’s mit meinem Vermögen aus? Also bei den Mitarbeitern kann ich auch alle beruhigen. Die verbleiben in der Regel in diesen städtischen Arbeitsverhältnissen. Das hat am Ende steuerlich Aspekte. Da ist leider der Gesetzgeber so unterwegs, dass er nicht fragt: Was machen wir? Abwasserentsorgung. Sondern er fragt: Wer macht es? Ist es eine GmbH oder ist das eine Kommune? dann habe ich Umsatzsteuerthemen, die mir bei der Investition nicht wehtun, die mir aber beim Personal wehtun. Aber das ist ein reines steuerliches Konstrukt. Führt aber dazu, dass meine Mitarbeiter weiterhin städtische Mitarbeiter sind. Da brauchen die auch gar keine Angst haben, denn die brauche ich auch alle. Ich komme ja nicht als Partner und sage: Tretet mal alle beiseite – euch können wir nicht gebrauchen. Sondern ganz im Gegenteil. Wir sagen: Super, da gibt es schon paar Mitarbeiter, die kennen sich vor Ort aus, die sind hier tätig, die bleiben hier natürlich auch und jetzt kommen noch mehr.

Nämlich von der Seite des Partners, die hier an der Stelle unterstützen. Ich beobachte das ja seit Jahren und Jahrzehnten hier bei unseren Beteiligungen. Dann wachsen da gemeinsame Mannschaften zusammen über die Jahre. Es ist sogar so, das haben wir wirklich in Gelsenkirchen. Als das hier anfing, waren es 30 Leute im Eigenbetrieb und jetzt sind es 60. Wir haben den Betrieb auch noch gestärkt. Es ist also mitnichten so, dass der sogenannte „Private“ kommt und dann wird hier erst mal leergefegt. Dann ist da hinterher keiner mehr, sondern im Gegenteil, wir wollen, dass das Ganze vor Ort dann wieder funktioniert. Auf der anderen Seite kauft man sich auch so ein bisschen Flexibilität damit ein. Oder man hat dann in der Regel eine gemeinsame Abwassergesellschaft, eine GmbH. Da kann ich auch noch mal in den Anstellungsverhältnissen ein bisschen anders agieren als im öffentlichen Raum, der dann an TVöD oder andere Regeln gebunden ist. Also auch das kann noch mal in Anführungsstrichen „ein Trick“ sein, um einfach mehr Leute, mehr Arbeitnehmer für meine Gesellschaft zu begeistern. Dann bleibt das Vermögen – und das ist immer das größte Mysterium und die größten Schlagzeilen in der Zeitung – um Gottes Willen, die verscherbeln ihr Tafelsilber.

Also erst einmal, wenn man kommt als Partner, dann hat die Kommune ja schon hunderte Jahre kommunaler Geschichte auf dem Buckel und auch die entsprechende Infrastruktur dazu. Erst mal klare Aussage Nummer eins: Die bleibt ja auch. Davon rühren wir auch gar nichts an. Kommunales Vermögen war kommunales Vermögen und bleibt kommunales Vermögen und wird dann weiter verzinst und der Kämmerer freut sich jedes Jahr. Hoffentlich über die Einnahmequellen. Für alles, was dann neu gemacht wird, über eine begrenzte Laufzeit eines Vertrages, da agieren wir tatsächlich gemeinsam. Da kommen dann auch so Themen wie Finanzierung ins Spiel. Liebe Hella, ich erinnere mich jetzt an Meisenheim und die Diskussion zu: Oh Gott, Finanzierung wird immer schwieriger im kommunalen Umfeld. Genau das Thema Finanzierung lösen wir dann an der Stelle auch gleich. Wir bauen also neues Vermögen in dieser Gesellschaft auf und wenn die Laufzeit des Vertrages zu Ende ist, dann geht dieses Vermögen zurück an die Kommune. Also insofern fängt es immer damit an und es endet dann auch immer damit, dass alles in kommunaler Hand ist, auch vermögenstechnisch.

HR: Wenn ich das jetzt andererseits in der Immobilienwirtschaft betrachte… wir hatten vor Kurzem von einem großen Bauträger hier in meiner Nachbarschaft Wasch- und Duschcontainer und Toilettencontainer auf den Wiesen stehen, weil man seiner Pflicht, der Sanierung der Gebäude nicht nachgekommen ist. Da ist es eben offensichtlich, dass man das Inventar auch verbrauchen kann. Also das ist dann keine Wertsteigerung, sondern einfach eine Wertminderung. Kurz noch eine Bemerkung am Rande, bevor wir zur letzten Frage kommen. Wir reden immerhin von Tafelsilber. Eigentlich geht man beim Stichwort „Abwasserentsorgung“ eher mit gerümpft Nase los und behauptet, dass man sie sowieso braucht und man sich im Leben nicht damit befassen würde. Auf der anderen Seite wird es aber doch als absolut hohes Gut angesehen. Die Diskrepanz passt bei mir noch nicht so ganz im Kopf zusammen und auch die Akzeptanz irgendwie nicht. Ich glaube, da müssen wir auch noch ein bisschen dran polieren.

AJ: Das liegt vielleicht einfach daran, dass der Begriff „Tafelsilber“ ein fiskalischer Begriff ist. Wenn ich in die Bilanz einer Kommune schaue und mir angucke, was haben die, was, wo liegt das Vermögen? Dann steht da an zweiter Stelle Abwasser. Also dadurch, dass das so groß ist, so tief unter der Erde, ist es einfach teuer. Es ist Anlagevermögen, das auch verzinst wird. Da sind wir wieder bei den kalkulatorischen Zinsen und Abschreibungen. Man sagt ja, man lebt von seiner Substanz. Dieses Vermögen ist da und wird mit der Zeit abgeschrieben. Solange es eben noch da ist, bringt es mir Zinsen und Abschreibungen und die sind gut für meinen Haushalt. Wenn ich auf der anderen Seite nichts ausgebe, aber immer nur einnehme macht das so 10 bis 15 Jahre Spaß. Dann, irgendwann fängt es an, weniger Spaß zu machen. Weil der Kuchen ja kleiner wird, er schmilzt ja sowohl durch Abschreibungen als auch durch technischen Verzehr. Das prägt diesen Begriff „Tafelsilber“. Da steckt einfach richtig viel Musik und richtig viel Geld drin und dieses Geld muss ich mir einfach erhalten.

HR: Da wünsche ich dir viel Erfolg, liebe Agnes. Du hast ja den Vorteil, dass du Ökonomin auf der einen Seite bist und hast durch deine Arbeit bei Gelsenwasser einen wahnsinnigen Wissensschatz auch in der Abwasserwelt. Von daher ist diese Kombination perfekt. Und was braucht man mehr, außer viele Menschen hinter deinem Rücken, die mit dir gemeinsam vorangehen? Ich komme zu meiner letzten Frage: Ist es eigentlich alles nur gut für die Städte oder ist es auch gut für die Bürger? Ich habe mal von einem Mediziner gehört, der sagte, bevor nicht Wasser da ist und Abwasser entsorgt wird, brauche ich meinen Koffer gar nicht aufzumachen.

AJ: Also meine Meinung ist, was gut für eine Stadt ist, kann ja nicht schlecht für die Bürger sein und der Gesetzgeber hat zum Glück die richtigen Leitplanken gesetzt. Abwasser ist ein klar regulierter Bereich. Sowohl in Bezug auf technische Standards als auch auf kalkulatorische Rahmenbedingungen gibt es klare Vorgaben, Regeln, Grenzen. Insofern kann kein böser Privater kommen und 25 % Marge nehmen und dann aber nix tun. Also wenn das passiert, wäre es gegen die Gesetze und hätte man ganz schlechte Verträge gemacht. Da ist dann auch jeder so ein bisschen seines eigenen Glückes Schmied. Jede Kommune muss zusehen, dass sie die richtigen Verträge macht. Noch ein anderer Punkt. Da hat man sich noch eine sehr pfiffige Sache überlegt. Per Gesetz sind organisationsbedingte Gebührenerhöhungen verboten. Was heißt das denn jetzt? Nur weil ich meinen Betrieb anders organisiere und da so ein Dritter ist, verhafte ich den mal und spanne ihn hier mit ein. Deswegen darf es jetzt nicht für den Bürger teurer werden. Es darf teurer werden. Da muss sich aber auch inhaltlich was ändern. Es darf nicht teurer werden, nur weil jetzt ein Partner dazukommt. Wie breche ich das jetzt auf? Wie löse ich das? Wir machen, wenn wir uns solchen Themen nähern, eigentlich immer einen sogenannten Regiekostenvergleich. Das heißt, die Kommune stellt sich erst mal hin und analysiert ihre Defizite und sie überlegt sich – vielleicht auch mit Hilfe – wo sie denn eigentlich hin muss. Was muss ich denn jetzt mal zwingend die nächsten Jahre schaffen?

Das ist dann das zukünftig nötige Leistungsniveau des Abwasserentsorger, und zwar sowohl für mich als Kommune stand alone (wenn ich es alleine machen würde) als auch für den case mit einem Partner. Wir können ja nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Ich muss mir ein Zielbild malen und sagen: Auf die Plätze, fertig, los. Ich als Kommune versuche diese Ziele zu erreichen, wenn ich das allein machen wollte. Das muss man einmal durchplanen – wie könnte das überhaupt gehen? Dann gucke ich mir das Gleiche an oder mache eine Ausschreibung. Ich sage: Passt auf alle Partner dieser Welt, ihr könnt euch darauf bewerben. Ihr kriegt jetzt die gleiche Knobelaufgabe und wie würdet ihr das denn mit uns zusammen erreichen? Dann muss der Kooperationspartner nachweisen, dass er dieses Leistungsniveau, was wir da beschrieben haben, zu besseren wirtschaftlichen Konditionen umsetzen kann. Peng! Also eigentlich ganz einfach.

HR: Eigentlich ganz einfach so, ich bin jetzt die gute Fee und du hast einen Wunsch frei. Was wünschst du dir, lieber Agnes?

AJ: Ich wünsche, dass mein Telefon jetzt heiß läuft und ganz viele motivierte Tiefbauamtsleiter sagen: Ach, das kann uns ja gar nicht schaden. Vielleicht kommt bei der Analyse ja auch raus, dass wir tippi toppi aufgestellt sind. Dann werde ich allen gratulieren und mich freuen. Aber ja, ich wünsche mir, dass einfach ein bisschen Bewegung in den Markt kommt, und am Ende geht es mir ja darum. Ich bin ja selber Bürgerin der Stadt, in der ich Abwasserentsorgung betreibe und da wünsche ich mir als Bürger, dass das alles gut funktioniert. Dass meine Stadt das Geld gut im Blick hat, die Technik gut im Blick hat und sie dann einfach wieder intelligent einsetzt für neue Projekte in der Stadt. Das glaube ich könnte ein Bild sein, was vielen anderen Bürgern in anderen Städten genauso vorschwebt und da könnten wir ein bisschen zur Lösung beitragen.

HR: Vielen Dank, liebe Agnes. Wir sind am Ende eines wirklich super informativen, umfassenden, bogenspannenden und spannenden Podcast angekommen. Liebe Hörerinnen und Hörer, vielen Dank, dass Sie dabei waren. Ich hoffe, es hat Spaß gemacht und wer weiß, welche Abwasserthemen uns dann in der nächsten Zeit hier wieder zusammenführen werden. Liebe Agnes, ganz lieben Dank für deine Zeit und für das tolle Gespräch. Bis bald.

AJ: Hella, ich danke dir und freue mich auf alles, was noch kommt.

HR: Danke.