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Hoheitliche Pflichtaufgabe Abwasser – Intelligente Partnerschaften

Eine öffentlich-private Partnerschaft ausschreiben: Total komplex? Ja und nein. Zunächst einmal ist es eine riesige Chance! Keine Angst vor anspruchsvollen Ausschreibungen, lernen Sie aus best-practice-Beispielen und nehmen Sie nicht einfach den “billigsten”.

HR: Hallo und herzlich willkommen zu unserem Podcast zum Thema „Hoheitliche Pflichtaufgabe Abwasser – eine Medaille mit zwei Seiten“ mit Dr. Agnes Janda von Gelsenwasser. Hallo liebe Agnes, schön dass du wieder da bist und ich darf gleich mit der nächsten Frage starten. Es ist also nicht so wirklich schlau, die Öffentlichen zu enterben. Es geht eher darum, sie zu befähigen, intelligente Partnerschaften einzugehen. Wie würdest du dir das vorstellen oder wünschen?

AJ: Wie würde ich mir das wünschen? Also, zuallererst wünsche ich mir, dass unsere kommunalen Partner wie die Mitarbeiter in den Verwaltungen motiviert sind, sich selbst als kommunale Einheit klar zu analysieren. Dafür kann man sich im Übrigen an verschiedensten Stellen auch gut Hilfe holen. Und dass sie dann keine Angst davor haben, Defizite zu entdecken. Selbst den Kindern sagen wir ja, aus Fehlern lernt man. Und was für die Kinder stimmt, finde ich, hat für die Erwachsenen auch noch Gültigkeit. Also da können wir ohne Bedenken ankämpfen. Und jetzt kommt was ganz Wesentliches: Wir brauchen auch den Mut, etwas zu tun, was politisch gesehen in den letzten 10, 15, 20 Jahren nicht mehr besonders populär gewesen ist. Ich habe so ein bisschen den Eindruck, sobald es um strategische Partnerschaften im Bereich der Infrastrukturversorgung in Deutschland geht, da holt jede Zeitung und jeder Politiker die alte Leier vom verscherbelten Tafelsilber aus der Mottenkiste. Und wirklich. Es gibt kaum ein größeres Mysterium als öffentlich-private Partnerschaften.

HR: Aber muss es denn gleich der große Wurf einer öffentlich-privaten Partnerschaft sein?

Nicht immer – aber oft. Ich erinnere mich gerade an die Tagesthemen. Da habe ich gehört, 500 Milliarden Euro Sondervermögen für Infrastruktur. Schauen wir mal, ob es kommt. Dann wäre ja irgendwie Geld da. Aber irgendeiner muss dieses Geld ja auch umsetzen. Hella, ich weiß jetzt nicht wie viel du dich mit Fördermitteln beschäftigst oder schon mal davon gehört hast. Fördermittel gibt es in Deutschland viele. Sie werden nur leider auch nicht alle vollständig abgerufen. Geld ist sozusagen da. Aber mit dem Geld muss man dann auch was machen und hier ist es genauso.

Ich würde da gerne nur eine kurze Bemerkung dazu machen. Was ich ganz, ganz oft erlebe, ist die Tatsache, dass gerade die mittleren und kleinen Kommunen auch keine Manpower haben, sich durch diese Antragsformulare durchzuarbeiten. Sie sagen, da verzichten wir lieber auf das Geld. Also es bleibt dann liegen, es wird nicht abgerufen. Andererseits macht sich aber dann auf Seiten der Politik niemand Gedanken, warum das Geld nicht abgerufen wird. Das ist doch auch eine Krux, wo ich nur kopfschüttelnd danebenstehe.

Hier ist es das Gleiche. Das Geld liegt hier nämlich auch in Form von Gebührenvolumen. Das Geld für Investitionen ist im Abwasser grundsätzlich da. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Also am Geld mangelt es nicht. Und deswegen sind diese 500 Milliarden Euro trotzdem wichtig. Das zeigt nochmal: Infrastruktur kommt jetzt noch mal stark in den Fokus und diese Dimension an Geld muss man sich überhaupt erst mal vorstellen können. Also insofern auch hier ist das Geld da, aber es fehlt an der Umsetzung.

Jetzt fragst du, muss es immer eine öffentlich-private Partnerschaft sein oder geht nicht auch was Kleineres? Ich tu mich deswegen schwer zu sagen, dass das auch mit weniger geht, weil wir die Situation haben, dass viele kommunale Betreiber jetzt schon seit ganz vielen Jahren unterhalb ihres optimalen Niveaus agieren.

Und das heißt, die haben sich nicht nur ein Umsetzungsproblem zugelegt. Die haben sich auch ein Problem auf der Grundlagenseite erarbeitet. Also wir haben ganze Datenbestände, die im schlechten Zustand sind oder teilweise gar nicht vorhanden sind. Es liegen keine Sanierungsstrategien vor. Wir hoppen eigentlich nur von einer ungeplanten Feuerwehrmaßnahme zur nächsten in unserem Netz und auch auf unseren Anlagen. Und das heißt, es ist jetzt nicht damit getan, dass ich zwei, drei schlaue Ingenieurpakete schnüre und irgendeinem Ingenieurbüro rüberschiebe. Sondern da fehlt es ganz oft an einer grundlegenden Standortbestimmung. Man kann das vielleicht noch mal an einem anderen Beispiel klar machen. Ich sage da ganz oft: „Leute, jetzt habt ihr euch in den letzten zehn Jahren 15, 20 Millionen Euro Sanierungsstau zugelegt. So viel länger könnt ihr so eigentlich auch nicht mehr weitermachen, weil dann können wir die ganze Stadt ja einmal absperren.“

Ich fahre in die nächste Stadt, in mein Büro oder sonst wo hin. Eine Umleitung nach der anderen, weil jede dritte Straße eine Baustelle hat. Das geht natürlich nicht und können wir so auch nicht. Wir kommen da auch in unserem gesellschaftlichen Leben einfach an ganz natürliche Grenzen. Wir müssen irgendwann anfangen. Denn es wird natürlich schwieriger. Je größer die Masse, desto schwieriger wird es, zu priorisieren. Was die ersten Maßnahmen sind, die ich jetzt wirklich angehen muss. Und auch das kostet Zeit und Intellekt.

Eigentlich denke ich mir. Weißt du was? Die Bahn kommt schon nicht pünktlich. Die Autobahnen sind voller Baustellen. Was juckt es, wenn du dann durch die Städte auch nicht durchkommt? Also eigentlich ist der Bürger gerade mit allen Hunden gehetzt oder vielleicht schon sowieso desillusioniert. Aber ja, wir können jetzt nicht noch mehr Straßen zu machen oder wie auch immer. Wir haben ja auch keine Alternative, von A nach B zu kommen. Jetzt kann man natürlich sagen, die die Homeoffice machen können, können dann in der Zeit Homeoffice machen. Aber das bringt wahrscheinlich die Hälfte der arbeitenden Bevölkerung nicht wirklich sicher zu ihren Arbeitsplätzen.

Man kann das natürlich nicht immer pauschal alles über einen Kamm scheren, das ist klar. Und in der Wirklichkeit praktizieren wir ja auch verschiedene Modelle am Markt. Es werden Einzeldienstleistungen ausgeschrieben, es gibt komplexere Rahmenverträge. Also hier, gerade im Ruhrgebiet, hat sich das in den letzten Jahren langsam durchgesetzt. Die Stadtentwässerung Dortmund war ja die erste, die sich selbst eingestanden hat, dass es da diese „Riesenpizza Sanierung“ gibt. Und mindestens ein Stück, das werde ich aber gar nicht selbst bewältigen. Das sind 5 Millionen Euro im Jahr oder 20 Millionen Euro in vier Jahren. Und ich schiebe mal so ein ganzes großes Stück an jemanden rüber, der wirklich von Leistungsphase 0 bis 9 – und das muss man erst mal als Kommune innerlich ertragen – abarbeitet. Also auch solche Modelle gibt es. Aber dann, eben bis hin zu tatsächlich strategischen Fachpartnerschaften, gibt es unheimlich viele Möglichkeiten. Am Ende muss ich nur so ehrlich zu mir selbst sein: Was brauche ich denn hier wirklich vor Ort?

HR: Du hast gerade das Stichwort „Ausschreibung“ genannt. Eine öffentlich-private Partnerschaft auszuschreiben. Das hört sich für mich total komplex an. Ist das so?

AJ: Ja und nein. Zunächst ist es eine riesige Chance für die öffentliche Hand.

Die Aufgabe einer Ausschreibung ist jetzt nicht deswegen anspruchsvoll, weil die Spielregeln nicht klar wären. Die Spielregeln sind klar. Es gibt Vergaberecht, es gibt kommunales Abgabenrecht, es gibt das öffentliche Preisrecht und wir haben die technischen Regelwerke. Und das summa summarum gibt der Kommune klare Regeln vor, aber eben auch Gestaltungsspielräume. Ich glaube, die Gestaltungsspielräume sind fast schwieriger als die Regeln. Und anspruchsvoll ist diese Aufgabe, weil sie jetzt als allererstes von mir verlangt, mir Gedanken darüber zu machen, was ich in den nächsten Jahren auf kommunaler Ebene brauche, um optimal agieren zu können. Und noch mehr. Ich muss dann tatsächlich auch hingehen und muss meinen zukünftigen, optimalen Zustand überhaupt mal beschreiben. Und dann muss ich auch wissen, was ich wahrscheinlich selbst nicht leisten kann und wissen, welche Qualität, welche Menge und welche Erfahrung ich von meinem Partner – den ich dann jetzt mit dieser Ausschreibung suche – erwarte. Dann muss ich mir natürlich als kommunaler Vertreter vorher überlegen, wie dieser Partner, denn mit mir arbeiten soll. Als vor Ort führende Kommune. Ich habe ja vorhin gesagt: „Ihr seid im driver`s seat, liebe Kommunen.“ Ihr sitzt da weiterhin, es ist immer noch euer Auto, steht Stadt XYZ drauf. Aber ihr wollt jetzt mal einen Beifahrer haben, der euch ein bisschen beim Navigieren hilft. Und da muss ich mir überlegen, Was bin ich für ein Typ? Da muss auch die Chemie stimmen. Da hole ich mir jemanden rein, mit dem ich vertrauensvoll zusammenarbeiten will. Also muss ich mir über den ein paar Gedanken machen. Ich kann es mir natürlich auch einfach machen. Ich kann auch sagen: Pass auf, dass überlass ich mal den Partnern, die sich da bewerben. Die sollen mir mal Lösungsansätze einreichen, wie sie dann mit mir zusammenarbeiten wollen. Wie sollen denn unsere Schnittstellen aussehen? So kann ich es auch tun. Aber Fakt ist, ich muss es zum Thema machen. Und ich kann also jeder Kommune nur sagen

Bitte habt keine Angst vor anspruchsvollen Ausschreibungen. Ich kann euch auch sagen, dass wir das jetzt schon in den letzten Jahren das eine oder andere Mal durchgezogen haben. Das kann man bewältigen. Das schafft man mit einer guten Vorbereitung und auch jemandem, der nicht einmal aus der Branche ist. Sondern wirklich ein Berater auf kommunaler Ebene, der das Vertrauen der Kommunen genießt. Der auch ihre Interessen vertritt, der an Dinge denkt, an die man in den Verträgen vielleicht beim ersten Mal gar nicht denkt. Den nehme ich mir u dann bin ich auch in der Lage, eine solche Ausschreibung durchzuführen.

HR: Nach welchen Gesichtspunkten würde ich denn jetzt als Kommune einen potenziellen Beifahrer auswählen?

AJ: Ich sage mal ganz kurz, wonach ich ihn nicht auswählen würde. Da steigt einer ein. Und es stehen drei vor meinem Auto und ich frage jeden von denen: „Du darfst mitfahren in meinem kommunalen Auto, aber sag mir mal, wie viel Geld du mir dafür bietest.“ Also sprich, es gibt ja so Ausschreibungen, da gibt es dann 49 % an einer kommunalen Abwassergesellschaft. Da steht dann in der Ausschreibung: „Derjenige das meiste Geld dafür biete, der möge der Gewinner sein.“ Also ich denke immer: Um Gottes willen, bitte bloß nicht! Denn die Privaten sind ja auch clever und müssten ja nur mit den Gebühren zurück erwirtschaften um im Zweifel jedes Geld zahlen. Aber das kann ja nicht die Idee des Ganzen sein. Sondern es geht darum, dass wir hier ein Regelkorsett haben, du musst mir einen Gebührenverlauf aufschreiben, du kennst die Spielregeln zur kalkulatorischen Verzinsung, zu den Abschreibungen. Du weißt, du musst den Stand der Technik einhalten. Ich gebe dir hier das Sanierungsvolumen vor. Und dann sag mir mal, wie du das leisten willst. Also ich muss nach Inhalten fragen, nach strategischer Aufstellung, nach Personal, nach Erfahrung, nach Konzept. Aber bitte nicht: Wer legt mir den größten Stapel Geld auf den Tisch?

HR: Gibt es denn bereits funktionierende Beispiele für so ein Vorgehen? Um das klarzumachen, dass eigentlich die Technik und das Know how der Ausschlag sein sollte und nicht die finanziellen Mittel?

AJ: Die gibt es in jedem Falle. Ich kann jetzt leider keine 100 Beispiele im Abwassersektor aufzählen. Diese Partnerschaften kennen wir mehr aus dem Energiebereich und auch ab und zu aus dem Wasserbereich. Im Abwasserbereich sind sie leider sehr selten, aber ein Paar gibt es dann doch. In meiner Heimatstadt Gelsenkirchen habe ich auch eine Rolle in der Abwassergesellschaft Gelsenkirchen. Da machen wir genau das. Gelsenkanal, eigenbetriebsähnliche Einrichtung und die Abwassergesellschaft Gelsenkirchen. Die sind so ein gemeinsames Konstrukt. Seit Anfang der 2000er, sind wir gemeinsam unterwegs. Und was machen wir? Wir erfüllen einfach jedes Jahr unsere Pflichtaufgaben. Wir investieren, wir arbeiten mit der Stadt zusammen, haben hier einen großen Personalstamm, der eben vor Ort agieren kann. Wir machen’s einfach.

Dann haben wir Beispiele in Dresden, in Emmerich am Rhein, in Herne, in Magdeburg und in vielen anderen Städten. Auch in durchaus kleineren als den eben genannten.

Wenn ich mir diese Städte jetzt mal angucke, in denen ich solche Modelle habe, dann stechen die nicht dadurch hervor, dass sie was die Gebühren anbelangt, die teuersten in ihrem Umfeld wären. Das ist nämlich immer das, was uns so ein bisschen die politische Mär glauben lassen will. Das ist aber nicht so. Die sind in der Regel auf einem durchschnittlichen Gebührenpfad unterwegs. Aber mit diesem durchschnittlichen Gebührenpfad schaffen sie es, technisch auf einem exzellenten Stand zu sein. Und sie schaffen es auch, funktionierende Betriebe vor Ort zu halten, die die nötigen Arbeiten erledigen. Und gleichzeitig profitieren Sie von der Stärke eines Fachpartners, der gewisse Schlüsselqualifikationen gebündelt vorhält und dann eben unterschiedlichen kommunalen Partnern zur Verfügung stellt. Also die drei, vier Hydrauliker, die ich hier sitzen habe, die bedienen zig Städte mit Hydraulischen Fragestellungen. Da muss sich nicht jede Stadt einen ganzen Hydrauliker leisten. Sie haben dann eben 25 % von demjenigen eingekauft und sich noch untereinander ausgetauscht.

HR: Das klingt nach einem funktionierenden Mentorenprogramm.

AJ: Du meinst jetzt Mentorenprogramm unter den Kommunen, oder?

HR: Na ja, man könnte aus den Best Practice Beispielen tatsächlich einen Workshop machen. Wir zeigen euch, wie es funktioniert. Das ist unser Konstrukt, so schreiben wir aus und das sind die Ergebnisse.

AJ: Genau. Wenn es das Interesse am Markt gäbe, dann könnte man das super machen.

HR: Wahrscheinlich gibt es das Interesse. Wahrscheinlich muss man es nur wecken. Also ich kann mir schon vorstellen, dass jemand der dasitzt und ein Problem hat, gerne wüsste, dass man vielleicht ein Mentorship mal starten könnte. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass das viele dankbar annehmen würden. Sollten wir mal drüber nachdenken.

AJ: Dein Wort in Gottes Ohr. Ich bin dabei.

HR: Okay, super. Bei uns geht es dann im letzten Teil der Podcast Reihe weiter.  Wir bearbeiten die Fragen „Was bedeutet das eigentlich alles für meine Stadt? Wie gehe ich um mit Vermögensgegenständen in einer Kommune? Was ist für Städte und auch für die Bürger eigentlich in Zukunft realisierbar, nötig, wichtig und umzusetzen?“ Liebe Agnes, vielen Dank und liebe Zuhörerinnen und Zuhörer. Wir hören uns im letzten Teil wieder. Bis dahin.