HR: Hallo und herzlich willkommen zu Teil drei unseres spannenden Podcasts zum Thema Abwasser mit Agnes Janda von Gelsenwasser mit dem Titel „Hoheitliche Pflichtaufgabe Abwasser – Eine Medaille mit zwei Seiten“. Die nächste Frage, die jetzt ansteht, ist die nach einem Lösungsansatz.
Du beschreibst in den ersten beiden Teilen des Podcast die Problematik und gleichzeitig ist Abwasser aber eine hoheitliche Pflichtaufgabe. Das heißt, wir müssen das Problem lösen. Wie soll denn die Lösung aussehen, liebe Agnes?
AJ: Das Schöne ist, es ist eigentlich total einfach und der Gesetzgeber hat uns das auch aufgeschrieben, nämlich in § 56 Wasserhaushaltsgesetz (WHG). Ich mache jetzt mal Folgendes und lese kurz vor, was in diesem Paragrafen steht. Er nennt sich ja „Pflicht zur Abwasserbeseitigung“ und da heißt es: „Abwasser ist von den juristischen Personen des öffentlichen Rechts zu beseitigen, die nach Landesrecht hierzu verpflichtet sind (Abwasserbeseitigungspflichtige). Die Länder können bestimmen, unter welchen Voraussetzungen die Abwasserbeseitigung anderen als den in Satz 1 genannten Abwasserbeseitigungspflichtigen obliegt.“ Und jetzt kommt’s: „Die zur Abwasserbeseitigung Verpflichteten können sich zur Erfüllung ihrer Pflichten Dritter bedienen.“. Also die Lösung steckt im letzten Satz. Letzten Endes ist keine Kommune in Deutschland gezwungen, ihre Pflichten allein zu bewältigen. Jeder Einzelne wäre in der Lage, sich nachhaltige Unterstützung hereinzuholen. Sie bleibt natürlich immer pflichtig. Ich sage immer so ein bisschen böse: Das ist wie das letzte Stück Klopapier, das ihr nicht loswerdet. Also die Pflicht, die bleibt immer bei euch nur lösen müsst ihr es nicht allein. Dazu hat euch niemand verdonnert und das reicht tatsächlich von der untersten Ebene wie der Beauftragung eines Ingenieurbüros. Das kann die Unterstützung eines Dritten sein. Bis hin zur strategischen Zusammenarbeit mit einem Partnerunternehmen, das möglicherweise ein Betriebsführungs- oder ein Kooperationsmodell anbietet.
Das Problem, glaube ich, liegt im Wörtchen „kann“. Sie kann die Kommune, sie „muss“ aber nicht. Und solange Behörden oder auch Stadträte keinen besonderen Druck ausüben – da bin ich jetzt beim fehlenden Vollzug, den wir vorhin hatten – so lange verharren eben die meisten Kommunen mal böse genannt „im Korsett der Mangelverwaltung“. Aber es ist ja so – wir können es eben nicht besser, wir haben hier Keinen. Das heißt aber eben nicht, dass ihr an dem Punkt stehen bleiben müsst.
HR: Das heißt, grundsätzlich wäre es möglich, dass mein Abwasser irgendwann mal nicht entsorgt wird, weil der zuständige Entsorger es nicht kann und keinen findet, der es macht?
AJ: Es passiert, dass wir Ablaufwerte überschreiten. Mal passiert das erkannt, mal unerkannt. Je nachdem, ob die Behörde gerade eine kleine Visite bei mir eingeplant hat oder ich Tagesbrüche habe. Das wird jeder schon mal gesehen haben. Das sind diese lustigen, kleinen, abgesperrten Zonen einer Straße, wo dann plötzlich diese rot weißen Schilder stehen, um die man dann mit dem Auto drum herumfährt. Da gab es dann Tagesbruch. Der hat dann gleich noch ein Stück Straße mitgerissen. Das sind punktuelle Merkmale eines technischen Versagens und die können sich und die werden sich auch weiter hochschaukeln.
HR: Wie bringen wir denn die Branche dazu, ihre gesetzlichen Möglichkeiten zu nutzen?
AJ: Wie bringen wir sie dazu? Meiner Meinung nach muss der Prozess zum einen mit Aufklärung und mit klarer Analyse beginnen, und zwar ohne Vorwurf. Ich bin da total nüchtern und sage auch jedem, mit dem ich auf kommunaler Ebene spreche: Leute, der Anfang ist gemacht. Ihr macht euch Gedanken darüber, wie ihr eure Aufgaben zukünftig wieder richtig toll erfüllen könnt. Das ist perfekt. Wir gucken nicht nach hinten, wir gucken nach vorne und jedem muss klar sein, dass ihr begrenzte Möglichkeiten habt. Damit habt ihr bisher auch gelebt, es fließt ja alles ab, alles gut. Insofern ist es kein Vorwurf. Trotzdem muss ich motiviert sein, mich aufzuraffen und mir das ganze Thema mal anzugucken. Nur weil wir jetzt über Daseinsvorsorge und hoheitliche Pflichten sprechen, heißt das eben in der Simultanübersetzung nicht, dass jedwede Kompetenz aus der Verwaltung kommt. Das geht ja teilweise gar nicht.
Und warum geht das nicht? Vielleicht fangen wir noch mal mit einem Beispiel an. Wir stellen uns mal vor, wir sind in einer großen Kommune. Die hat mehrere 100 Kilometer Netz und muss jedes Jahr eine große Masse an TV-Inspektionsvideos auswerten. Die hat verschiedene Sanierungsvorhaben. Die plant sie mit unterschiedlichen Technologien. Sie überprüft die hydraulische Leistungsfähigkeit ihres Netzes. Das heißt, für den nicht fachlichen Zuhörer: „Wie viel Wasser passt da überhaupt in dieses Netz rein? Wie viele Häuser, wie viel Gewerbe habe ich da schon angeschlossen? Wenn der nächste Regenguss kommt, passt der da auch noch rein? Muss der da überhaupt reinpassen?“ Da geht es um die hydraulische Leistungsfähigkeit. Das gucken sie sich an. Dann gucken sie sich ihre Kläranlage an. Ist sie energetisch gut aufgestellt? Ist sie technisch auf Stand? Jetzt müssen wir seit Neuestem Maßnahmen zum Regenwassermanagement einführen usw. Also eine Fülle von Aufgaben in dieser großen Stadt. Dann haben wir vorhin schon mal gehört, dass man für diese und auch für viele andere Tätigkeiten, die ich jetzt gar nicht genannt habe, sehr spezialisierte Techniker und Ingenieure braucht. Weil ich jetzt in dieser großen Stadt viel zu überprüfen, viel zu sanieren, viel zu viel neu zu bauen habe, kann ich mir eben von jedem Spezialisten ein oder mehrere Fachkräfte leisten. Sofern sie auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Von dieser Randbedingungen gehe ich jetzt einfach mal aus. Ich bin eine attraktive Stadt und zu mir kommen die Leute gerne. Die Welt ist also in Ordnung und gut. Eine kleine Stadt hat exakt dieselben Themen. Wir haben ganz, ganz vorne im Podcast mal gehört, dass jeder Bürger das Gleiche erwarten darf. Die gleiche Qualität, den gleichen Standard und insofern ist dem Gesetzgeber egal, ob ich jetzt Pusemuckel bin mit 50.000 Einwohnern, mit 5.000 Einwohnern oder einer Millionenstadt wie Berlin. Ich muss meinem Bürger das Gleiche bieten. In dieser kleinen Stadt ist aber das Problem.
Ich habe eben nicht mehrere 100 Kilometer Kanalnetz, sondern da liegen oft viel kleinere Dimensionen vor. Ich habe vielleicht auch nicht 70 Pumpwerke, sondern nur drei und eine kleine Kläranlage oder auch vielleicht keine Kläranlage. Das heißt am Ende, ich kann mir gar nicht jeden Spezialisten, den ich ja trotzdem brauche, auch leisen. Ich habe trotzdem Sanierungsstau, ich habe trotzdem hydraulische Fragen, ich habe trotzdem energetische Themen, die ich lösen muss. Ich kann mir nur nicht jeden einzelnen Spezialisten leisten, denn ich werde ihn ja niemals im Leben auslasten. Das heißt, ich muss mit weniger Fachkräften auskommen und das sind in der Regel alle nicht eierlegende Wollmilchsäue. Das heißt, da habe ich jetzt nicht einen, der kann zum Glück alles. Der kann das Hydraulikprogramm bedienen, der kann sanieren, der kennt sich noch mit der Kläranlage aus. Nein, die Leute sind dann Generalisten und wissen von allem irgendwie so ein bisschen was. Das heißt, da habe ich – nur weil ich eine kleine Kommune bin – schon einen schlechteren Stand an dieser Stelle. Da kann man dann Ingenieur Büros beschäftigen, aber auch da muss ich natürlich deren Arbeiten vorbereiten und kontrollieren. Das ist so ein bisschen wie mit dem Handwerker, der zu mir nach Hause kommt. Gebe ich ihm den Schlüssel und sage: „Mach mal!“ Ich kenne den aber gar nicht und komme erst abends zurück. Dann werde ich mich vielleicht das eine oder andere Mal wundern, dass der gar nicht genau das gemacht hat, was ich mir so vorgestellt habe. Sondern vielleicht das gemacht hat, was er sich so vorgestellt hat. Und hier ist es das Gleiche. Ich muss die Ingenieurbüros also auch kontrollieren und steuern und auch dafür brauche ich wieder Fachkunde und Personal. Was ich damit sagen will: Wir sollten uns weniger von der Frage treiben lassen, wozu wir verpflichtet sind, sondern mehr von der Frage treiben lassen, wie wir in der Lage sind, diese Pflichten tatsächlich zu erfüllen und uns einmal selbst die Frage gönnen oder die Antwort auf die Frage gönnen „Wo stehe ich denn?“. Was habe ich in den letzten Jahren geschafft und was habe ich offensichtlich nicht geschafft? Und da reicht ganz oft der Blick in die Haushaltsplanung einer Stadt. Da stehen immer viele Investitionen drin oder auch in meinem Abwasserbeseitigung Konzept. Da schaue ich mir einfach mal an, was hatte ich mir auf den Zettel geschrieben für die nächsten Jahre und was habe ich wirklich umgesetzt?
HR: Da fällt mir das Stichwort „Change Management“ ein. Also vielleicht haben wir das alle nötig. Jeder spricht von Fachkräftemangel auf unterschiedlichen Ebenen, aber so wirklich einfach scheint das ja auch nicht zu sein, weil es wirklich ein „Wir krempeln upside down“ Thema ist. Was wir brauchen, sind da glaube ich erst mal kurze, einfache Lösungen. Denn das klingt ja irgendwie so, als könnte man der Aufgabe gar nicht Herr werden. Wäre es nicht doch besser, den großen Umbruch zu planen und alles in die Hand großer Verbände oder privater Unternehmen zu legen?
AJ: Also das wäre aus meiner Sicht keine gute Idee. Ganz im Gegenteil. Ich würde sagen, es ist zwingend, dass Abwasserentsorgung weiterhin in kommunaler Steuerung verbleibt. Und warum habe ich diese Meinung? Wenn wir Abwasserversorgung mal vergleichen mit Wasser, Gas, Strom, Telekommunikation, dann sind das in der Regel kleine Röhrchen im Bürgersteig und ich mit meiner Abwasserentsorgung. Ich habe die größten Querschnitte. Das fängt mit DN 300 an, da ist der Wasserversorger in seinem Verteilnetze gerade fertig mit dem Durchmesser. Da fangen wir gerade an und es sind aber auch gerne mal DN 1000, DN 2000, DN 3000. Also richtig große Dinger, die ganz viele Meter unter der Erde, und zwar in der Regel mitten unter meiner Fahrbahn, also unter der Straße liegen.
Das heißt, die Schnittstelle zur Straßenplanung brauche ich – glaube ich – an dieser Stelle dann gar nicht mehr erwähnen. Also insofern mache ich Kanal auf, muss ich Straße bedenken. Erste wichtige städtische Schnittstelle und dann ist ja Abwasser heute auch nicht mehr nur Abwasser. Jedes Mal, wenn ich irgendwo neu baue oder sanieren, dann muss ich verschiedene Entscheidungen treffen. Ich frage mich zum Beispiel: „Leite ich Regenwasser in die Kläranlage ein oder versickere ich ortsnah oder leite das ins nächste Gewässer ein?“
Also gestalte ich Lösungen auf meinem städtischen Grund. Das hat ganz viel mit der Vorbereitung auf die Klimaresilienz zu tun, mit der kommunalen Vorbereitung. Das Abwasser gibt mir, weil eben Regen eben auch Abwasser ist, ganz viele Möglichkeiten an die Hand an der Stelle zu gestalten. Und aus meiner Sicht möchte ich mir diese Entscheidung als Stadt doch nicht komplett aus der Hand nehmen lassen.
Denn das betrifft ja alles nicht nur Fragen meiner Infrastruktursanierung, sondern auch Fragen der Stadtentwicklung. Da würde ich sagen Stadtentwicklung ist eines der wichtigsten Themen. Da sollte ich als Stadt im sogenannten „driver`s seat“ bleiben. Also nein, ich würde das Ganze jetzt nicht abgeben, sondern es muss möglich sein, das Thema auch auf kommunaler Ebene gut zu organisieren. Aber unter Nutzung aller am Markt bestehenden Möglichkeiten. Das heißt: Dienstleistungsbeziehung zu Ingenieurbüros, Zusammenarbeite mit strategischen Partnern und kommunale Netzwerke.
HR: Vielen Dank, liebe Agnes, für diesen Einblick. Wir sind damit am Ende des dritten Teils angelangt und werden uns im nächsten Teil tatsächlich mit der Enterbung der Öffentlichen auseinandersetzen. Was natürlich nicht der Fall sein wird. Und einen Einblick geben, wie denn ein großer Wurf einer öffentlich-privaten Partnerschaft aussehen könnte. Und wir werden uns mit den Ausschreibungen auseinandersetzen. Vielen Dank und bis zum nächsten Mal. Bleiben Sie dran.