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Hoheitliche Pflichtaufgabe Abwasser – Standardbestimmung und Perspektiven

Öffentliche Abwasserentsorgung in Deutschland. Das bedeutet: hohe Standards, Vorbild in Europa, ein exzellentes Regelwerk, aber auch Sanierungsstau, Fachkräftemangel, Mangelverwaltung und Überregulierung.
Wir machen uns ein Bild von der Lage und diskutieren Lösungsansätze, die auf dem Tisch liegen.

HR: Hallo und herzlich willkommen zu einem neuen Podcast mit dem Titel „Hoheitliche Pflichtaufgabe Abwasser – Standardbestimmung und Perspektiven“. Mein Name ist Hella Runge und ich habe heute Dr. Agnes Janda zu Gast. Sie ist Promovierte Ökonomin und Bereichsleiterin Abwasser und Prokuristin bei Gelsenwasser. Darüber hinaus und ganz wichtig für unser Thema heute: Agnes ist Betriebsleiterin von Gelsenkanal und auch Geschäftsführerin der Abwassergesellschaft Gelsenkirchen. Liebe Agnes, wir sprechen heute über eines deiner Lieblingsthemen, nämlich die Pflichtaufgabe Abwasser. Eine Medaille mit zwei Seiten. Die öffentliche Abwasserentsorgung in Deutschland bedeutet hohe Standards, Vorbild in Europa, exzellentes Regelwerk aber auch Sanierungsstau, Fachkräftemangel, Mangelverwaltung, Überregulierung und überforderte Tiefbauamtsleiter. Wir machen uns heute ein Bild von der Lage und diskutieren Lösungsansätze, die auf dem Tisch liegen. Ich freue mich sehr, Dich hier heute willkommen zu heißen.

AJ: Liebe Hella, vielen Dank für die Einführung und Vorstellung.

HR: Ich starte gleich mit der ersten Frage: Wie ist denn Abwasserentsorgung in Form von Ableitung und Reinigung in Deutschland organisiert?

AJ: Wir Deutschen organisieren immer gut und gründlich. Das haben wir auch beim Thema Abwasser getan und weil uns das wichtig ist und weil es ja sozusagen von nationaler und gesundheitlicher Bedeutung ist. Wir erinnern uns an die Seuchen, die früher gerne mal ausgebrochen sind, weil es eben noch keine organisierte Abwasserentsorgung gab. Genau aus diesem Grund ist man hingegangen und hat gesagt, dass das eine hoheitliche Pflichtaufgabe ist. Was heißt hoheitliche Pflichtaufgabe? Das bedeutet zum einen, dass im Wasserhaushaltsgesetz und in den korrespondierenden Landeswassergesetzen alle Pflichten aber auch Möglichkeiten zur Umsetzung geregelt sind. Für jede einzelne Kommune heißt das im Klartext: Jede Gebietskörperschaft öffentlichen Rechts in Deutschland hat die Erfüllung dieser Tätigkeit sicherzustellen.

HR: Nimmt der Gesetzgeber bei der Pflichtenformulierung auf die unterschiedlichen Städte- und Gemeindegrößen in Deutschland und die damit verbundene Leistungsfähigkeit denn Rücksicht?

AJ: Das ist eine gute Frage. Gucken wir uns erst mal an wie denn die Städte- und Gemeindelandschaft in Deutschland aussieht. Da finden wir rund 11.000 Städte und Kommunen vor. Da finde ich es durchaus erst mal logisch zu sagen: Aus Sicht eines Gesetzgebers ist ja jeder Bürger gleich und insofern hat auch jeder Bürger in Sachen Standard, Reinheit und Leistungsfähigkeit ein Recht auf Gleichbehandlung. Davor machen dann auch die Gesetze (von wenigen Ausnahmen abgesehen) in der Leistungsbeschreibung keinen Unterschied zwischen kleinen, mittleren und großen Kommunen. Das heißt, dass alle mehr oder minder das Gleiche leisten müssen, damit jeder Bürger sozusagen die gleiche Qualität in Anspruch nehmen kann.

HR: Dann schließen sich die vielen kleinen Kommunen zur Bewältigung dieser Aufgabe sicherlich zu sinnvollen Kooperationen zusammen?

AJ: Das wäre klasse und kann man ganz leicht nachprüfen. Wir haben 11.000 Städte und Kommunen. Wenn ich auf die Entsorger-Landschaft schaue, haben wir rund 8.000 Abwasserentsorgungsbetriebe. Man sieht also schnell, wenn man das Ganze vergleicht, so richtig viele Zusammenschlüsse gibt es da offensichtlich nicht. Ja, es gibt welche – die Zahl ist nicht identisch – aber sie ist eben auch nur rund 20 % niedriger als die einzelne Zahl. Das heißt, der Großteil der Städte und Gemeinden versucht tatsächlich, das Thema organisatorisch für sich allein zu lösen. Dann haben wir innerhalb von Deutschland durchaus Besonderheiten. In Nordrhein-Westfalen kennen wir die sondergesetzlichen Verbände. Die bündeln für viele Kommunen das Thema Abwasserreinigung, indem sie große zentrale Kläranlagen betreiben, in die dann alle einleiten. Die Netze und Sonderbauwerke, die dieses Abwasser erst mal sammeln, um es zu den Kläranlagen zu bringen, die wiederum sind aber bei dieser Konstruktion, bei den Gemeinden und auch in deren sozusagen Obhut.

Wir stellen trotzdem Veränderungen in der Landschaft fest. Nicht unbedingt, was die Anzahl der Betriebe und die Kooperationslust anbelangt aber zumindest, was die Rechtsform anbelangt. Wir haben früher fast ausschließlich Regiebetriebe gehabt. Da werden die Belange der Infrastruktur Abwasser mit den Belangen des allgemeinen Haushalts vermischt. Das lässt sich gar nicht so richtig raus rechnen. Wenn eine Finanzierung für die Stadt gemacht wird, dann kann man hinterher gar nicht sagen, war die jetzt für das Abwasser oder hat man davon eine Kita gebaut. Das Typische für den Regiebetrieb – er ist eins mit dem städtischen Haushalt. Das war früher an der Tagesordnung aber die Zahl der Regiebetriebe hat sich deutlich verkleinert. Stattdessen ist man schon mal hingegangen, hat gesagt: Wir versuchen das separat zu organisieren, so dass es auch fiskalisch sichtbar ist. So finden wir heute durchaus viele Eigenbetriebe oder eigenbetriebsähnliche Einrichtungen oder auch Anstalten öffentlichen Rechts vor, in denen Abwasser dann kommunal organisiert ist.  Das ist aus meiner Sicht auch gut und nötig, weil es zumindest schon mal eine klare Sicht auf das Thema bringt. Aber leider lösen wir damit noch keine personellen, keine organisatorischen und keine technisch prozessualen Themen.

HR: Kann denn die Kooperation nicht auch niederschwelliger funktionieren? Also muss es immer gleich eine organisatorische Einheit sein? Das hört sich so kompliziert an.

AJ: Genau. Zumindest nicht total einfach und in einer Woche zu lösen. Ja, natürlich kann es auch Kooperationen auf einem Level darunter geben. Die gibt es auch und finden wir vor. Wir haben auf der einen Seite eine große Verbändelandschaft. Angefangen von der DWA als fachlich technischer Verband bis hin zum VKU, der für kleine kommunale Einheiten steht. Aber wenn ich jetzt hier tatsächlich mal den Mitgliederkreis aufklappe, dann stelle ich eben fest, dass die vielen kleinen Kommunen viel zu selten vertreten und sind gar nicht Teil des Austauschs sind.

Dann habe ich andere Formate auch unmittelbar auf kommunaler Ebene. Es gibt die sogenannten Kläranlagen-Nachbarschaften. Da treffen sich wirklich „Hinz und Kunz“ kleinerer Kommunen mit kleinen Kläranlagen ein oder zweimal im Jahr und tauschen sich zu Themen aus. Das sind eben auch keine operativ agierenden Verbände, sondern Plattformen, auf denen man seine Erfahrungen für andere verfügbar machen kann. Was ich auch total klasse finde. Das ist super! Nur leider bringt das in einem Umfeld von Mangelverwaltung wenig Effekt, denn es muss ja hinterher auch jemand da sein, der dann diese guten Ideen mitnimmt und versucht, sie praktisch im eigenen Umfeld umzusetzen. Also Best Practice Ansätze tatsächlich in die Fläche zu kriegen. Und das passiert eben nicht und deswegen reichen am Ende so gute Ideen wie Kläranlagen-Nachbarschaften oder auch der Austausch über unsere großen fachlichen Verbände leider nicht aus.

HR: Vielen Dank, liebe Agnes. Und weil dieses Thema so ein dickes Brett ist, haben wir beschlossen, den Podcast in mehrere Teile zu teilen. Wir sind am Ende des ersten Teils angelangt und Sie dürfen sich auf den zweiten Teil freuen, in dem wir nämlich genau Klartext sprechen über die Perspektive von kleinen und mittleren kommunalen Einheiten. Ich freue mich auf Sie. Bis zum zweiten Teil.